Wenige Millimeter kleine Organoide aus humanen Stammzellen (Blutgefäß-Organoid) könnten der Forschung an neuen Medikamenten gute Dienste leisten.
Molekularbiologie. Miniorgane aus Stammzellen, die im Labor zum Wachsen gebracht werden, sollen Tierversuche ersetzen und Impulse für neue Therapien geben. Weitergetragen wird die Grundlagenforschung in akademischen Spin-offs.
VON CORNELIA GROBNER
Nun ist es gelungen. Sasha Mendjan hat mit seinem Team ein Herzmodell mit allen Kammern im Labor gezüchtet. Bereits vor zwei Jahren machten die Forschenden am Wiener Imba (Institute of Molecular Biotechnology) der Akademie der Wissenschaften mit einem sogenannten Kardioid auf sich aufmerksam (Cell). Handelte es sich zunächst „lediglich“ um eine linke Herzkammer, kann Mendjan jetzt das Minimodell eines vollständigen Herzen im sehr frühen Entwicklungsstadium präsentieren.
„Wir versuchen, jeden Schritt der Entwicklung nachzuahmen und davon zu lernen“, erklärt der Molekularbiologe. Die Erkenntnis se sollen parallel dazu gleich in die Praxis fließen. Ermöglicht wird das durch „HeartBeat.bio“, ein 2021 gegründetes Labor-Spin-off. „Hier ist es gelungen, den Herstellungsprozess zu automatisieren“, erklärt Mendjan. Das macht die Modelle für die Pharmaindustrie interessant, denn klinische Studien am Herzen sind aufwendig, langwierig und teuer. Auch deshalb kommt die Forschung an neuen Therapien gegen Herzkreislauferkrankungen nicht recht vom Fleck. An Kardioiden könnten neue Krebstherapien, die oft das Herz schädigen, unkomplizierter ausprobiert werden. Zudem lassen sich darin Herzrhythmusstörungen oder morphologische Defekte studieren, um davon ausgehend Medikamente zu entwickeln.
Frühe Entwicklung simulieren
„Mit Spin-offs kann man die Übersetzung von Grundlagenforschung in etwas, das wirklich einen Unterschied macht, enorm verkürzen“, sagt Mendjan. Über den Daumen gepeilt gehe die Idee bei einem von zehn Spin-offs auf. In Österreich sei man ganz gut aufgestellt, auch wenn in Sachen Risikofreudigkeit seitens Investorinnen und Investoren noch viel Luft nach oben sei. Laut dem Austrian Startup-Monitor stieg der Anteil akademischer Spin-offs hierzulande – rund 90 sind es pro Jahr – zuletzt leicht auf ein Viertel aller Startup-Gründungen an. Darunter waren zwei weitere Imba-Spin-offs, die auf Organoide setzen: die Biotech-Firmen a:head und Angios.
„Wenn wir Medikamente entwickeln oder versuchen, Biologie zu verstehen, spielen Tierversuche eine große Rolle. Beim Gehirn kommt das an seine Grenzen“, sagt ImbaForscher Jürgen Knoblich, auf dessen Arbeit das 2019 gegründete Startup a:head basiert. Die Lösung: Hirnorganoide. Wie bei den Kardioiden werden dazu humane Zellen erst radikal verjüngt, um sie dann durch Zugabe bestimmter Faktoren im Reagenzglas analog zur Entwicklung bei Embryos in eine Richtung zu treiben (siehe Lexikon). Eingebettet in eine Substanz als Zellkitt („ähnlich wie eine Tellersulz, nur eine Million Mal teurer“) bilden sich schließlich selbstständig Gehirnorganoide.
Vor zehn Jahren waren Knoblich und seine damaligen Kollegin Madeline Lancaster weltweit die ersten, die solche Modelle entwickelten und zeigten, dass man da mit Erbkrankheiten imitieren kann. Aktuell interessieren Knoblich Krankheiten wie Epilepsie oder Autismus. Im Modell kann bereits nachgeahmt werden, wenn Nerven an die falsche Stelle wandern oder sich falsch anordnen. Sein nächstes Ziel ist die Simulation von Hirnströmen. Das würde die Türe für die Entwicklung gezielter Epilepsiemedikamente aufstoßen, ist der Forscher sicher.
Zwei Welten, ein Ziel
„Auf der kommerziellen Schiene hat man Möglichkeiten, die man in einem Forschungsinstitut nicht hat, und man kann der Gesellschaft etwas zurückgeben“, betont Knoblich. Berührungsängste mit der Wirtschaft habe er keine, im Gegenteil, ihn interessiere das Zusammenspiel von akademischer (Kreativität, Individualität) und kommerzieller Welt (Automatisierung, Skalierung).
Gregor Wick steht auf der anderen Seite. Der Unternehmer gründete mit dem Genetiker und ehemaligen Imba-Leiter Josef Penninger sowie dem Molekularbiologen David Hoffmann 2021 das Innsbrucker Startup Angios. Wick kümmerte sich um die Lizenzverhandlung, um die Infrastruktur, den Dialog mit den Behörden – und nicht zuletzt um finanzkräftige Geldgeber. „Trotz Pandemie verlief alles schnell und effizient“, lobt er die Kooperation aller Beteiligten. Einer der Schwerpunkte der Firma: vaskuläre Organoide für die Wundheilung und als Ersatz für Tierversuche bei Medikamententests. „Künftig soll ein Großteil der Arterioskleroseforschung mit unseren Modellen betrieben werden“, so Wicks Vision. Auch Diabetes Phänotypen werden in den Organoiden gut dargestellt, ergänzt der wissenschaftlicher Leiter von Angios, Teodor Yordanov. Eine andere Anwendung könnte die Blutversorgung von Zellen sein, die für bestimmte therapeutische Zwecke im Patienten implantiert werden (ein neuer Ansatz in der Diabetesforschung). Mittlerweile schaffte man es bei Angios, Blutgefäße aus iPSZellen so zu perfektionieren, dass sie – in Mäusen implantiert – zu 95 Prozent ein halbes Jahr überleben. Wick und Yordanov sind guter Dinge, in drei Jahren mit klinischen Studien zu starten.
LEXIKON
Organoide sind dreidimensionale Zellkulturen, die aus bestimmten Stammzellen hergestellt werden. Verwendet werden dazu induzierte pluripotente Stammzellen (iPSZellen).
iPS-Zellen können durch Zugabe bestimmter Gene aus Blutzellen her gestellt werden. Sie entsprechen Stammzellen, die sich im frühen Entwicklungsstadium in alle möglichen Zelltypen ausdifferenzieren können.
Quelle: "Die Presse" WISSEN & INNOVATION, Samstag 21.Oktober 2023,